Ausschnitt aus der Zulassungsarbeit zum 1. Staatsexamen
an der Akademie der bildenden Künste, München

Klangforschung/ Musik:

Maulwurfsgesänge
Initialzündung für meine weitere Beschäftigung mit Musik waren die
»Maulwurfsgesänge«, ein Performance-Projekt initiiert von Dieter Trüstedt und
Bernt Engelmann, eine Verbindung von Klang- und Video-Lifeproduktion in der
Münchner Echtzeithalle anlässlich des Pfingstsymposiums 1999 »Ein Lied in allen
Dingen«. Mit Hilfe von empfindlichen Direktschallabnehmern sind auf
experimentelle Weise erstaunliche Klangbilder entstanden.
Improvisation – Interaktion – Reaktion
Ursprüngliche Idee für das Klang-Performance-Projekt war eine audiovisuelle
Mixed-Media Kooperation von Studenten der Musikhochschule und der
Akademie im Rahmen eines Workshops. Aus Mangel an Interesse von Seiten der
Musikhochschule erklärten wir uns spontan bereit auch den musikalischen
Bereich zu übernehmen.
Die Vorbereitungszeit war mit nur einer Woche knapp bemessen. Inhalt des
Workshops war die kreative Klangproduktion und die Improvisation mit den
unterschiedlichsten Gegenständen. Da die Teilnehmer aus Maler- und Bildhauerklassen
stammten, kam eine umso breitere Mischung an Instrumenten zustande.
Sie reichte von umfunktionierten Alltagsgegenständen wie Holz, Steine, Sand,
Kies, Eierschneider, Sägeblätter, Plastikbecher und Tabaksdosen, über einfachste
selbst gebaute Instrumente wie Monocord und andere Saiteninstrumente bis hin
zu »Yin-Yang«-Kugeln und Goldschmiedeequipment wie Zahnarztbohrer und
Metallfräse. Als einziges richtiges Instrument im klassischen Sinne kam eine Geige
zum Einsatz. In spontanem Zusammenspiel entwickelten sich Rhythmus, Takt
und Dynamik – einfache musikalische Grundprinzipien. In der einwöchigen
Probephase experimentierten und improvisierten wir gemeinsam. Durch Reaktion
auf soeben entstandene Geräusche entwickelten sich musikalische Dialoge. Bei
allen Teilnehmern stellte sich während der experimentellen Klangforschung bald
eine verstärkte Hör- Sensibilisierung ein.
Aufführung
Mit Hilfe von keramischen Piezo-Mikrofonen, die dazu geeignet sind,
Kontaktschall zu verstärken, war es möglich ein größeres Publikum teilhaben zu
lassen, gleichzeitig wurde das Spiel unserer Hände gefilmt, zum Teil mit
Videoeffekten gemischt und im Wechsel mit vorgefertigtem Videomaterial auf
eine große Leinwand projiziert. Durch die unmittelbare Präsenz von Bild und
Klang intensivierte sich der Eindruck beim Zuhörer. Während der einstündigen
Aufführung war das Publikum sehr aufmerksam und konzentriert. Viele Besucher
zeigten anschließend großes Interesse an den ungewöhnlichen Musikinstrumenten.
(Videodokumentation ca. 14 min.)
Sensibilisierung der Wahrnehmung
Die Klangsensibilisierung hat sich in meinem Alltag fortgesetzt. Durch die
experimentelle Klangforschung und -sammlung bei den Maulwurfsgesängen
begann ich, erst spielerisch, dann fast unvermeidlich meine direkte Umwelt als
Klangerlebnis wahrzunehmen. Wenn ich z.B. morgens Zuckerwürfel in Tee fallen
ließ, beim Händewaschen, wenn ich Gläser mit einem schaumigen Spülschwamm
quietschend und knarzend abspülte, wenn durchs offene Fenster Geräusche von
der Straße hereindrangen, oder beim Radfahren – ich war »hellhörig« geworden
und erlebte mein persönliches Umfeld wie ein »Hörspiel«. (Hörstück »Balkon«
auf CD)

2klang
Aus dem Maulwurfs-Projekt resultierte eine weitere Zusammenarbeit mit Martin
Krejci, unter dem Namen »2klang« haben wir einige experimentelle Klangstücke
erarbeitet, von denen einige inzwischen zur Aufführung gelangt sind, zum Beispiel
anlässlich der Vernissage und Finissage der Klassenausstellung in Freising. (Foto
Freising, B 24)

Wir tüftelten an neuen Klangkonstruktionen indem wir versuchten, Klangteppiche
durch elektronische Filter, Echo- und Delay- Effekte zu erzeugen.
In der Kombination der klassischen Instrumenten – Gitarre und Geige – und
elektronischen Geräten zielten wir auf eine »Brechung« der klassischen Rollen der
Instrumente, durch Aufbauen eines einfachen Grundrhythmus mit einem
akustischen Instrument und gezielter Gegenüberstellung mit elektronisch
erzeugten Melodien. Zur Verstärkung der akustischen Instrumente verwendeten
wir wieder Piezo-Mikrofone. In einem Stück habe ich auf der Gitarre in
wiederkehrenden Schleifen – »Loops« – einfache Muster gespielt, die Variation
beschränkte sich auf Veränderungen in den Effekten, die über den Verstärker
dazugemischt wurden, während Martin mit seinem Drumcomputer »RY 30« die
ganze Bandbreite an manuellen Modulationen eigentlich vorgegebener
Klangbausteine ausnützte. Im experimentellen Dialog ist der Rhythmus das
prägnanteste Gestaltungsmuster.
Der Wechsel von Monolog und Zusammenspiel, minimalistischen Loops und
Samples, die wir mit Hilfe von Effektgeräten selbst »live« fabrizierten, das gezielte
Integrieren von »Ausrutschern« und der bewußte Einsatz des Zufallsmoments,
von dem musikalische Improvisation lebt, waren die wesentlichen Schwerpunkte
unserer Klangforschungen. (Stück »Hit« auf CD)

Klassenbesprechung
Zur Ankündigung unserer »Klangperformance« hatten wir ein Programm in
Form eines Faltblattes verteilt, dem Titel und Reihenfolge der Stücke zu
entnehmen waren. Jeden Titel habe ich von meinem Laptop mit einer
computergenerierten Stimme »Bruce« laut vorlesen lassen. Zwischen den
einzelnen Stücken waren pathologische Herzgeräusche einer medizinischen
Demonstrations- CD zu hören. Von Martin liefen währenddessen zwei Schwarzweiß-
Videos, die seine Hände bei der »Operation« eines alten Feuerzeugs und
einer ausgeleierten Kassette zeigten. Ein Stück bestand im wesentlichen aus einer
von mir gebastelten Elektromotor-Konstruktion, von der ein Gummiband in
kreiselnden Bewegungen, in zufällig variierender Stärke auf die Saiten meiner
Gitarre geschlagen wurde. Leider ist keine Dokumentation dieser Klangperformance
erhalten, die Aufführung war somit »einmalig«; worin letztendlich
ein wesentlicher Unterschied von Musik und Malerei liegt: Musik verklingt,
während man das Bild noch länger betrachten kann. (Programm B 31)

Freising »Stuhl«
Als »Motto« der Klassenausstellung in Freising war ein computergrafisch
freigestellter, barocker Sessel vor weißem Hintergrund auf der Einladungskarte
abgebildet, da sich in den Ausstellungsräumen bei der Vorbesichtigung eine Reihe
merkwürdiger Polstersessel befand. Das war für mich der Anreiz, versuchsweise
einen Stuhl als Klangkörper »zu missbrauchen«. Alle „Instrumente“ stammten
aus dem Klassenzimmer. Ein einfacher Holzstuhl, ein Bambusrohr- Spazierstock
und die Stereoanlage aus dem Raum der Klasse Sauerbruch. Als Tonabnehmer
fungierte wieder ein Piezo-Kontaktmikrofon, das ich aus Gründen der schwachen
Resonanz der Sitzfläche an deren Oberseite angebracht hatte. Martin saß
zurückgelehnt auf einem Lehnstuhl, das Effektgerät auf den Knien, während ich
begann, mit dem Stock auf dem Stuhl einen Takt zu erzeugen, indem ich den Stab
zwischen den Streben der Stuhllehne federnd hin- und herschnellen ließ. Martin
erhöhte nach seinem Gutdünken die Echo- bzw. die Verzögerungsfrequenz,
wodurch sich der Originalklang mit dem Echo überlagerte. In der Mitte des
Stückes ging ich von dem Taktklopfen an den Rückenstreben zu einem
rhythmischen Kratzgeräusch auf der Sitzfläche über. Zum Ende der Aufführung
hin steigerte ich den Druck auf den Stock und lenkte die Kratzbewegungen
vermehrt direkt auf das Piezomikrofon, was jedes Mal ein heftiges Knacken und
Knarzen hervorrief. Das Stück endete nach weiterer Steigerung der Kratzfrequenz
und der Lautstärke abrupt, indem Martin die Anlage kurzerhand ausschaltete.
Obwohl ich stark den Eindruck hatte, dass viele Zuschauer und -hörer nicht so
recht wussten, was sie nun genau davon halten sollten, haben Martin und ich
durch unsere anhaltende Konzentration und Gelassenheit offensichtlich einen
Großteil des Publikums überzeugt, was wir aufgrund des Beifalls schließen
konnten. (Stück »Stuhl« auf CD)

Wassergeschichte
Den Ausgangspunkt für diese Klangperformance zusammen mit Daniela Leiter
bildeten Experimente und Improvisationen mit alltäglichen, verfügbaren und
transportablen Gegenständen und Gefäßen um ausschließlich mit
Wassergeräuschen eine Geschichte zu erzählen. In der Wahl der Materialien hatte
sich bald die Entscheidung herauskristallisiert, nur Haushaltsgegenstände zu
verwenden und so haben wir uns auf Küchenutensilien, nämlich Teeschale,
Wasserkrug, Wasserkocher, Strohhalm und Weinglas beschränkt – am Ende des
Stückes lief die als einzige Ausnahme der »live«- Klangerzeugung eine
Audioaufnahme eines plätschernden Gebirgsbaches. Die Aufführung fand
anlässlich der »Aulabesprechung« der Klasse Sauerbruch im Januar 2000 statt.
(»Wassergeschichte« auf CD, Programm ab B32)

Wasserhahn Freising
Die Grundidee war, mit einem einfachen Alltagsgeräusch eine akustische
Irritation hervorzurufen. Ich habe das Geräusch des tropfenden Wasserhahns vor
Ort aufgenommen. Räumliche Ausgangssituation war ein Theatervorraum mit
einer ca. 8 Meter langen Theke. Darin befand sich ein großes Gastronomiespülbecken
aus Edelstahl. Ich habe zunächst versucht, möglichst verschiedene
Tropfvarianten aufzuzeichnen: von sanft tröpfelnden bis zu dicken Tropfen, die
echoartig von den Stahlwänden abperlen, und mit ansteigender Lautstärke eine
eigene Dynamik erzeugen. Durch die Verwendung von einem Stereomikrofon bei
der Aufnahme war es mir möglich eine gewisse Räumlichkeit des Klangs durch
die Tiefe und Klangvielfalt des an- und abschwellenden Wasserstrahls zu
erreichen. Die auf dem MiniDisc Gerät digital vorgeschnittenen Aufnahmen der
Wasserhahntropfen habe ich digital weiterbearbeitet und in verschieden langen
Schnipseln auf CD gebrannt, mit Pausen unterschiedlicher Länge, von einer bis zu
acht Minuten dazwischen. Die Installation im Ausstellungsraum erfolgte
schließlich mittels eines tragbaren CD-Players mit einer externen Lautsprecherbox
direkt in der Theke, gleich neben den realen Wasserhahn. Der CD-Player war so
präpariert, dass die CD per Repeat- Modus sich ständig in Schleifen wiederholend
abgespielt werden sollte. Das eigentlich banale Tropfgeräusch war im ganzen
Ausstellungsraum hörbar, was meines Erachtens die von mir beabsichtigte
Irritation hervorgerufen hat. Ich hatte die Tonquelle tatsächlich am Spülbecken
und nur verdeckt von der Thekenablage, an der originalen Geräuschquelle
installiert, wodurch die Lautsprecherbox nicht sofort einsehbar war. Da die
Geräusche lokalisierbar waren geriet man immer wieder in Versuchung, den
realen Wasserhahn abzudrehen. (2 »Wasserhahn« Ausschnitte auf CD)

Michael Petters

Quelle:
http://www.michael-petters.de/intermedia/intermedia.html